Einblicke 10/2016

Mit Courage und weissem Stock unterwegs

Portrait

Giuliano Morandini

Giuliano Morandini verlor als 76jähriger sein Augenlicht. Nach einer schweren und langen Herzoperation mit Komplikationen erwachte der Rentner, doch seine Sehkraft war erloschen.

Ein Blick zurück: In den 60er Jahren mangelte es in unserem Land an Arbeitskräften. Und im Trentino sprach sich herum, dass Schweizer Firmen tüchtige Arbeiter suchen. Die Aussicht auf gute Arbeit und ein gutes Leben lockte auch Giuliano Morandini: Eben frisch verheiratet und Vater einer Tochter, liess er im September 1965 schweren Herzens seine junge Familie im Trentino zurück und kam in die Schweiz, einen Arbeitsvertrag als Lastwagenführer im Gepäck.
 

Fahrer in Fass- und Kistenfabrik

Er begann seine Arbeit im Basler Unternehmen Fass- und Kistenfarbik AG (heute Densa AG). Zum Glück, so konnte seine Familie endlich nachreisen. Als Berufschauffeur holte Giuliano im Wald Langholz ab oder machte Stadtcamionage.

So lieferte er Holzkisten an Brauereien aus, später kamen Plastikfässer für die Chemieindustrie dazu. Als der Speditionsberuf wegen eines operierten Fusses nicht mehr in Frage kam, gab ihm ein Kollege den Tipp, dass die Josefskirche einen Hauswart suche. ‹Siegrist› wurde für weitere 12 Jahre sein Beruf.

Nach der Erblindung ist der Rentner nicht mehr so aktiv wie früher. Dafür hat er dank der Sehbehindertenhilfe Basel neue Aktivitäten gefunden: die Aktivierungsgruppe und der Monatstreff vernetzen ihn mit Gleichgesinnten, dank der Unitas im Tessin und dem Gerät Daisy kann er Hörbücher konsumieren.

Eine Operation mit Folgen

Einiges später, Giuliano war schon seit 11 Jahren pensioniert, folgte der Einschnitt in sein Leben: Am 27. November 2013 musste er am Herzen operiert werden. Drei Bypässe wurden gelegt, die Aortaklappe operiert. Auf die erste OP folgte wegen Komplikationen eine zweite. Als er erwachte, realisierte Giuliano Morandini, dass er nichts mehr sieht, konnte dies jedoch nicht zum Ausdruck bringen.
«Wir konnten nicht fassen, was passiert war. Die Erblindung war ein harter Schlag, der uns völlig unvorbereitet traf.» Der Rentner kann heute nur noch Umrisse im peripheren Sehen wahrnehmen. Geradeaus sieht er nichts mehr.
 

Grosses Lob für die Sehbehindertenhilfe Basel

Schon im Spital gab ihm eine Pflegefachperson den Tipp, die Sehbehindertenhilfe Basel aufzusuchen. So hart seine Erblindung ihn traf: ein Trentiner gibt nicht auf.

Das Erstgespräch mit der Sozialarbeiterin, Ysabel Agurto, baute den Rentner und seine Frau wieder etwas auf und verlieh ihnen Hoffnung. Und das zweimonatige Training, bei dem er zusammen mit Mobilitätslehrer Marcel Studer all seine Wege trainieren konnte, war für ihn äusserst wertvoll. «Die Unterstützung, die mir die Mitarbeitenden der Sehbehindertenhilfe Basel zukommen liessen, war fantastisch» lobt der Rentner.
 

Familie hält zusammen

Dass er es geschafft hat, seine Freiwilligenarbeit wenigstens teilweise weiterzuführen, hat dem 79-jährigen ein Stück ‹Selbstständigkeit› zurückgegeben.
Italiener Mission, Clara-Kirche, die Sehbehindertenhilfe, der Garten oder das Einkaufszentrum: all diese Wegstrecken geht der engagierte Mann dank des Mobilitätstrainings und seiner Routine mit dem weissen Stock allein - und fühlt sich dabei recht sicher.

Im Haushalt verlässt sich Giuliano Morandini ganz auf die Unterstützung seiner Ehefrau. «Ohne meine Frau wäre ich verloren, ich müsste sofort ins Altersheim» sagt er demütig und voller Dankbarkeit für seine Gefährtin. Die grosse Familie mit drei Töchtern und sieben Enkelkindern verleiht dem Erblindeten die Kraft, zu kämpfen und nach vorne zu schauen.

Hintergrund

Mit Rehabilitation ans Ziel

Wenn ein älterer Mensch wie Giuliano Morandini plötzlich erblindet, ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die wissen, was ein solches Schicksal bei Betroffenen auslöst. Dass eine Sozialarbeiterin einfach zuhört und aushält, wenn Tränen fliessen, kann unschätzbar wertvoll sein.

Die natürliche Widerstandskraft erlaubte G. Morandini, relativ rasch wieder nach vorne zu schauen und zu kämpfen. Am deutlichsten fruchtete die Reha bei ihm in der Orientierung & Mobilität. «An Tramhaltestellen wie dem Claraplatz frage ich um Hilfe, z. B. erbitte ich Auskunft, welches Tram als nächstes kommt.»

Die Unterschriften-Schablone hat der Rentner im Portemonnaie dabei, falls er ein Dokument unterschreiben muss. Auch trainiert er manchmal zuhause das Schreiben mittels Schreibschablone. Es sind kleine Hilfen mit grosser Wirkung, die den Alltag erleichtern.

Aktuell

Die Sehbehindertenhilfe Basel betreibt im Breite-Quartier ein Kompetenzzentrum, das sich schweizweit als einziges auf Sehbehinderung im beruflichen Kontext spezialisiert hat - SIBU, die Schweizerische Fachstelle für Sehbehinderte im beruflichen Umfeld. Hier klären wir die Auswirkungen der visuellen Einschränkungen unserer Klientinnen und Klienten auf ihre jeweilige berufliche Situation ab, schulen gezielt und intensiv die nötigen Hilfsmittel, bereiten Umschulungen vor und unterstützen gezielt am Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Auf Anfrage der IV-Stellen wird jetzt das neue Angebot ‹Sehbehindertentechnische Schülerbegleitung› eingeführt. Schüler mit einer Sehbehinderung können nun bereits während ihres letzten Schuljahrs von uns fachlich begleitet werden.
Unsere Fachpersonen zeigen berufliche Möglichkeiten auf, vermitteln einen effizienten Einsatz von Hilfsmitteln und kompensatorischen Arbeitstechniken und optimieren so mit Schülern und Lehrpersonen zusammen die Lernsituation insgesamt. Das Ziel ist, dass die Schüler die Sekundarstufe I erfolgreich abschliessen und einen für sie passenden Berufsweg einschlagen.