Einblicke 7/2014

«Die Sehbehindertenhilfe Basel hat mir ein Stück Lebensqualität zurück gegeben.»

Portrait

Hedi C.

Schon als Kind hatte Hedi C. Angst, später einmal zu erblinden. Im hohen Alter hat sie dieses Schicksal beinahe heimgesucht; vor acht Jahren wurde bei ihr eine altersbedingte Makuladegeneration (AMD) diagnostiziert. Zwar wird sie nicht blind werden, doch was sie noch sieht, ist wenig: auf dem linken Auge sind es nur noch Umrisse, das rechte Auge sieht weniger als 10 %.

Hedi C. war 79 Jahre alt, als sie einen Schatten im Auge feststellte. Die Untersuchung in der Augenklinik ergab die Diagnose AMD. «Ich hatte keine Ahnung was das bedeutet; den Begriff ‹Makuladegeneration› hatte ich noch nie gehört», blickt die sehbehinderte Frau zurück. Der Augenarzt, zu dem sie mit dieser neuen Diagnose wechselte, riet ihr, die Sehbehindertenhilfe Basel aufzusuchen.
 

Low Vision als Standortbestimmung

In der Low Vision-Abklärung prüfen wir die visuelle Situation und beraten die Klientin hinsichtlich der optischen Versorgung. Die Low-Vision-Fachfrau der Sehbehindertenhilfe Basel misst die Sehschärfe und das Kontrastsehen. Ausserdem wird der Vergrösserungsbedarf ermittelt: wievielmal muss ein Zeitungstext vergrössert werden, dass er wieder lesbar wird? Bei Hedi C. ist das Raumgefühl relativ gut; wenn es jedoch darum geht, ein Detail zu erkennen, etwas zu lesen, ist die Rentnerin rasch verloren. In der Migros-Filiale, wo sie ihre Lebensmittel einkauft, kennen sie die Verkäuferinnen schon und helfen der Frau gerne. Beim Wiegen von Gemüse und Früchten braucht sie meist Hilfe, und wenn sie vor einem Gestell voller Käse steht, sieht sie nicht, wo ihr Lieblingskäse ist. «Einmal habe ich ein Kind angesprochen, ob es gut sehe – ich würde eben nicht mehr viel sehen, sagte ich. Das Kind holte mir den Artikel und fragte mich: Brauchen Sie sonst noch was? Ich habe Zeit!› Diese menschliche Geste hat mich sehr berührt.»

Lesen kann die Rentnerin nur noch wenig und nur mit einer stark vergrössernden Lupe.

Mit Verlusten umgehen

Die vergangene Dekade war für Hedi C. von Verlusten geprägt. Zuerst stirbt ihr langjähriger Lebenspartner, mit dem sie ihre schönsten Jahre erlebt hat. Und wenig später kommt der Verlust des ‹zentralen Sehens› dazu. Zudem musste die aktive Frau wegen der altersbedingten Makula-Degeneration zwei ihrer Lieblingsbeschäftigungen aufgeben: über 30 Jahre hatte die Hobbyfilmerin Super-8-Filme gedreht, selber geschnitten und vertont; sogar kurze Spielfilme waren dabei. Erstens starb die Technik aus und zweitens wollte die Frau vorerst nicht auf Video umsteigen, weil die Qualität ihren Ansprüchen nicht genügte. Als Ersatz fürs Filmen bot sich das kreative Anfertigen von schönen Patchwork-Arbeiten an. Doch bald schon musste sie auch dieses Hobby loslassen, weil sie nicht mehr genug sah, um die Nähmaschine zu bedienen.
 

Der PC als Ersatzgefährte

Nach dieser Zeit des Trauerns um Menschen und Gewohnheiten, die wichtig waren für sie, schaffte sie dennoch den Sprung ins Computer-Zeitalter. Wolfgang Birekofen von der Sehbehindertenhilfe Basel rüstete ihren PC so aus, dass er sehbehinderten-tauglich ist. Er installierte ihr zum Beispiel die Vergrösserungs-Software Zoomtext. Mit diesem Programm ist Frau C. in der Lage, wieder Dokumente zu lesen und zu erstellen. Wenn ihr am Nachmittag die Decke auf den Kopf zu fallen droht, setzt sie sich vor den Computer und schreibt auf, was sie denkt und fühlt, was sie bewegt.
Oft löscht sie diese Notizen wieder «doch ich fühle mich immer besser, nachdem ich mein Innerstes ausformulieren konnte».

Hedi C. hat es geschafft, den Wechsel vom bewegten Bild aufs Standbild zu vollziehen: sie fotografiert jetzt gerne den Rhein, Blumenfelder, Zoomotive oder einfach Auszüge aus dem Stadtleben. Mit viel Eigeninitiative und gezielter Unterstützung durch den Rehabilitations-Lehrer der Sehbehindertenhilfe Basel hat es sich die Frau erarbeitet, Fotos von der Kamera auf den PC zu laden und dort weiterverarbeiten zu können. Schon das Fotografieren selbst ist eine enorme Willensleistung.
 

Soziales Netzwerk

Die 87-jährige pflegt wenige aber gute Sozialkontakte. Mit ihrer Schwägerin Maja tauscht sie sich täglich per SMS aus und die Frauen telefonieren auch regelmässig. Sie unterhält einen guten Kontakt zu ihrem Bruder und dessen Familie und Ruth, eine gute Freundin die in der Nähe wohnt, kommt ab und zu mit ihrem Partner vorbei und dann bekochen sie die Rentnerin und essen zusammen. Solche Ereignisse sind Lichtblicke im Leben von Hedi C., deren grösste Herausforderung im Alltag – neben der Sehbehinderung – das Bekämpfen von Einsamkeit und Langeweile ist. Zum Glück ist die Frau so robust und die Lebensfreude feiert trotz ihrer Erschwernisse täglich kleine Siege gegen den Lebensverdruss.

Beim Wiegen von Früchten und Gemüse geht die Migros-Verkäuferin der alten Frau zur Hand.

Hintergrund

Altersbedingte Makuladegeneration

Diese Erkrankung ist die Ursache von zwei Dritteln aller Sehbehinderungen im Alter. Es handelt sich um eine Degeneration der Makula, dem Ort des deutlichsten Sehens auf der Netzhaut. Dadurch wird das Tagessehen stark beeinträchtigt und Betroffene können nicht mehr fixieren, Personen auf der Strasse nicht mehr erkennen und nur noch grosse Schriften lesen. Die Erkrankung bleibt auf die Makula beschränkt; eine betroffene Person wird also nie erblinden, kann aber – wie Hedi C. – hochgradig sehbehindert werden. Medizinische Heilungsmöglichkeiten gibt es bis heute leider nicht. Eine gute Beleuchtung und optische Sehhilfen können Tätigkeiten im Alltag erleichtern. Betroffene nehmen den zentralen Gesichtsausfall nicht wahr und sagen: «Immer dort, wo ich hinblicke, sehe ich nichts!»
Quelle: SZB