Einblicke 4/2013

«Erfolgserlebnisse beim Basteln machen mir Mut.»

Portrait

Valerie Reanaux

Valerie Renaux (84) ist eine kluge, lebensfrohe Frau. Sie nutzt aktiv das Freizeitangebot der Sehbehindertenhilfe Basel. Kreativkurse, Gymnastik, Wassergymnastik, bis vor kurzem war sie auch Mitglied im Singkreis. Ihr Handicap: innert drei Jahren hat sich ihre Sehstärke dramatisch um etwa 90 Prozent verschlechtert. Wie der Frau die Umstellung auf dieses Schicksal gelingt, verdient hohen Respekt.

In der guten Stube von Valerie Renaux hängen Passepartouts verschiedener Grösse an einem Nagel, ein grosses Landschaftsbild, von ihr gemalt ziert die Wand, daneben eine Serie kolorierter Porträts des Enkels in bester Warhol-Manier. Das künstlerische Talent scheint in Familie Renaux genetisch bedingt zu sein. Und dank dem vielseitigen Kursangebot der Sehbehindertenhilfe kann die 84jährige noch immer kreativ sein.
 

Grosse Umstellung

Im Alter von 77 wurde bei Valerie Renaux die Augenerkrankung ‹Makuladegeneration› festgestellt. Bei der nassen Form sei im Augenhintergrund ein Äderlein geplatzt, das Gerinsel erhöhe den Augendruck erklärt sie die Erkrankung. Im Augenspital betonte die zuständige Ärztin, dass die Erkrankung nicht geheilt aber durch eine Spritzentherapie aufgehalten werden könne. «Die Diagnose für sich war schon ein Schock; als mir die Ärztin dann sogar vorschlug, die Therapie doch beim etwas besser sehenden Auge zu beginnen, sass ich da wie ein begossener Pudel.» Dieser Vorschlag brachte Valerie Renaux völlig aus dem Konzept. Nachdem Sie diese Spritzen zuerst in Frage stellte, willigte sie nach reiflicher Überlegung doch in die Therapie ein.

Solange ich kreativ sein kann, ist das schön. Manchmal staune ich, was wir im Kurs so alles hinkriegen! Dadurch, dass ich Menschen treffe und wieder etwas produzieren kann, ist mein Selbstbewusstsein wieder gestiegen.

Das Umfeld ist zentral

Wenn ein Mensch in hohem Alter fast erblindet, ist die Umstellung auf die neue Situation nur mit einem guten Umfeld zu schaffen. Zum Glück kann Valerie Renaux auf ihre zwei Söhne und deren Ehefrauen zählen. Die grössten Hürden im Alltag sind das Putzen, das sie delegiert, auch beim Einkaufen braucht sie dann und wann Hilfe. So trifft sie sich mit einer Freundin im Migros zum Kaffee, anschliessend gehen die Frauen einkaufen.
Dass ihr dank einer Ferienwoche in Landschlacht die Türen zur Sehbehindertenhilfe Basel geöffnet wurden, war für sie ein Glück. In den Kreativkursen von Christine Beck werden von der Kursleiterin viele neue Impulse gesetzt; zentral ist aber, dass auf jedes einzelne Kursmitglied eingegangen und gefragt wird: «Worauf haben Sie heute Lust?» Ernstgenommen zu werden ist wichtig für Valerie Renaux; sie möchte sich trotz Sehbehinderung eine gewisse Eigenständigkeit bewahren.
Wichtig ist ihr auch, unter Leuten zu sein. Vernetzt zu sein mit Gleichgesinnten bedeutet den Sehbehinderten und Blinden sehr viel. Die Aktivierungsgruppe, die sich immer Montagnachmittags zum Basteln trifft, ist wie eine kleine Familie. Nach dem ‹Werken› gibt’s Kaffee. Danach steht ein Gedächtnistraining auf dem Programm.
 

Sehbehinderung macht verletzlich

So lebensfroh und positiv eingestellt Frau Renaux auch ist, so tapfer sie ihr Schicksal erträgt und meistert: manchmal hat Sie abends vor dem Einschlafen auch dunklere Gedanken, Zukunftsängste. Die Angst zum Beispiel, eines morgens nicht mehr aufzuwachen und niemand merkt etwas. «Deshalb öffne ich morgens als Erstes die Rolläden, dann weiss meine Nachbarin, dass ich noch lebe», erzählt sie unverblümt.
Ein gesellschaftlicher Höhepunkt in ihrer Agenda sind die Brunches und gemeinsamen Essen mit den Familien ihrer Söhne.

Valerie Renaux hilft gerne, auch heute noch. Hilfe anzunehmen oder jemanden um etwas zu bitten, das braucht etwas Überwindung.
Was wünscht sich die rüstige Frau noch vom Leben? «Ich hoffe einfach, dass der Sehrest noch lange erhalten bleibt, dass ich raus kann unter Freunde und noch lange in meinem jetzigen Zuhause wohnen kann.» Liebe Frau Renaux, das wünschen Ihnen alle von Herzen.

Valerie Renaux nimmt ein Bastelobjekt ‹unter die Lupe›. Für Sehbehinderte ist dieses Hilfsmittel unerlässlich.

Hintergrund

Dienstleistungen für die Klientin

Die Sehbehindertenhilfe Basel half Valerie Renaux, sich zuhause und unterwegs wieder sicherer zu fühlen. Doris Wahl sorgte dafür, dass im Treppenhaus weisse Streifen auf den Treppenstufen montiert wurden, damit Frau Renaux sich auch orientieren kann, wenn das Licht ausgeht. Hilfsmittel im Haushalt sind die sprechende Waage, eine spezielle Uhr, sowie Kochherd- und Heizungsmarkierungen. Eine Lupe sowie ein Lesegerät unterstützen beim Lesen, das wegen Ermüdung nur 30 Minuten täglich möglich ist. Der weisse Stock hilft der Klientin, sich auf ihren vertrauten Wegen fortzubewegen; neue Routen sind immer schwierig für sie, die vielen Baustellen machen ihr Sorgen und unberechenbare Velofahrer, die sich nicht an Regeln halten sind eine dauernde Gefahr für die Rentnerin. In den Kreativkursen kann die kreative Frau malen, filzen, Glückwunschkarten erstellen oder Stofftaschen bedrucken. Mittwochs besucht sie die Gymnastik.

Aktuell

Sehbehinderung ist fast immer eine grosse Herausforderung in der Lebensführung betroffener Menschen. Bisher ging man davon aus, dass rund 80'000 – 100'000 blinde und sehbehinderte Personen hier leben. Neue statistische Erhebungen zeigen, dass in der Schweiz rund 325'000 Menschen von einer Sehbehinderung betroffen sind. Etwa 10'000 davon sind blind, sie nutzen kein Sehpotential.

Es erstaunt wenig, dass das Sehvermögen mit zunehmendem Alter abnimmt. Gut 200'000 Menschen über 60 Jahre sind sehbehindert. In der Altersklasse 40 – 59 sind es 90'000. Die übrigen sind jünger. Ob es um beruflichen Support oder Lebenshilfe geht: Die Sehbehindertenhilfe Basel hilft Menschen mit Sehbehinderung möglichst selbstständig ihren Alltag zu bewältigen. Und SIBU unterstützt Klientinnen und Klienten aus der ganzen Schweiz dabei, neue berufliche Wege zu finden.